Wer gegnerische Fanutensilien im Stadion präsentiert, macht sich nicht strafbar

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Die Präsentation von Fahnen der gegnerischen Fanszene im Stadion stellt keine strafbare „Billigung von Straftaten“ nach § 140 des Strafgesetzbuches dar, selbst wenn diese Fahnen zuvor gewaltsam entwendet wurden und es in Folge der Präsentation zu Ausschreitungen im Stadion kommt. Das hat das Landgericht Kassel bereits mit Urteil vom 18. November 2019 entschieden. Das Urteil ist mittlerweile rechtskräftig.

Zuvor hatte das Amtsgericht Kassel zwei Fans der Kickers Offenbach zu Geldstrafen von jeweils 95 Tagessätzen verurteilt, weil diese am 15. Oktober 2016 während des Auswärtsspiels bei Hessen Kassel im Gästeblock „zunächst die Präsentation der Fanutensilien lautstark und theatralisch bejubelten und im Weiteren auch selbst Teile der Fanutensilien provokativ zerrissen“. Hierin sah das Gericht eine Straftat nach § 140 StGB. Dieser Tatbestand stellt es unter Strafe, bestimmte Straftaten „in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts“ zu billigen. Zu diesen Straftaten, deren Billigung strafbar ist, gehört Raub (nicht aber Diebstahl). Die von den OFC-Fans präsentierten Fahnen waren anderthalb Jahre vor dem Spiel aus dem Kofferraum eines Kleinbusses einer Kasseler Ultragruppe entwendet worden. Weil es hierbei zu Gewalttätigkeiten gegen die Kasseler Fans gekommen sein soll, stufte das Gericht die Tat nicht als Diebstahl, sondern als Raub ein. Dadurch sah das Amtsgericht den Tatbestand des § 140 StGB eröffnet und wertete das Verhalten der Angeklagten als Billigung jenes Raubes. Da Kasseler Fans nach der Präsentation des Materials ein Sicherheitstor zum Stadioninnenraum öffneten und in Richtung Gästeblock stürmten, woraufhin die Polizei ein Aufeinandertreffen verhindern musste, bejahte das Amtsgericht zudem auch die Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören.

Hätte diese Entscheidung des Amtsgerichts Bestand gehabt, wäre ganz normales Fan-Verhalten im Stadion in bedenklicher Weise kriminalisiert worden. Denn wer das Präsentieren gegnerischer Fahnen und Transparente bejubelt oder sich daran beteiligt, heißt damit noch lange nicht gut, dass dieses Material zuvor geraubt wurde. Oftmals werden die betroffenen Fans die genauen Umstände, wie das Material den Besitzer wechselte, gar nicht kennen. Das Präsentieren dieser Fanutensilien unter lautstarkem Jubel des ganzen Blocks dient nicht der Billigung einer Straftat, sondern der Demütigung und Verhöhnung der gegnerischen Fans. Man mag darüber streiten, ob dieses durchaus fantypische Verhalten der Fankultur eher guttut oder schadet. Doch darüber sollten jedenfalls nicht Gerichte entscheiden. Daher hat der Fanrechtefonds die Angeklagten finanziell unterstützt, um zunächst gegen die vom Amtsgericht verhängten Strafbefehle vorzugehen und schließlich gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung einzulegen. Die Gefahr, dass die Kriminalisierung fantypischen Verhaltens bundesweit Schule macht, ist mit dem Freispruch des Landgerichts hoffentlich fürs erste gebannt.

In begrüßenswerter Klarheit, die auch über den Einzelfall hinaus Geltung beanspruchen kann, hat das Landgericht in seiner Urteilsbegründung u. a. festgestellt:

„Gegenstand der in der Präsentation liegenden Kundgebung war ersichtlich, den Verlust der Kasseler Fans an ihren Fahnen an die Offenbacher jenen vor Augen zu führen und sie zu demütigen und zu provozieren. Auf welche Art und Weise die Fahnen den Kasselern verlustig gegangen und in den Besitz der Offenbacher gelangt waren, wurden dabei nicht thematisiert und war mit Blick auf das Ziel der Demütigung und Provokation – angesichts der erheblichen Bedeutung dieser Fahnen für die betroffene Fangruppierung und insbesondere des Verlusts derselben – auch ohne Belang. Allein der Offenbacher Besitz an den Fahnen und deren Präsentation im Stadion waren geeignet und ausreichend, um die Kasseler Fans aufs äußerste zu demütigen und zu provozieren und eine in der Folge aufgeheizte Stimmung und angesichts versuchten Platzsturms der Kasseler Ultras und entsprechend reagierender Offenbacher Fans verschärfte Sicherheitslage zu verursachen. Dementsprechend hat auch [der szenekundige Polizeibeamte] auf Befragen bestätigt, dass die durch die Präsentation der Fahnen verschärfte Sicherheitslage keinesfalls anders ausgefallen wäre, wenn die Fahnen auf andere Art und Weise als durch Raub, beispielsweise einfachen Diebstahl, an die Offenbacher Fans gelangt wären. Demgemäß muss davon ausgegangen werden, dass allein der Verlust der Fahnen und deren provozierende Präsentation den verfolgten Zweck zu erreichen geeignet waren, und dass schon von daher weder die Offenbacher noch die Kasseler Fans mit der Präsentation der Fahnen einen auf eine Raubstraftat hinweisenden Erklärungsgehalt beigemessen haben müssen. Insofern ging es bei der Präsentation der Fahnen nicht darum, der vorangegangenen Raubstraftat zuzustimmen und sich „moralisch hinter die Täter zu stellen“, denn erstens fand eine solche Zustimmung keinerlei Ausdruck im Verhalten der beteiligten Fans und zweitens war die Art und Weise der Besitzerlangung der präsentierten Fahnen für das Erreichen des Ziels der Präsentation ohne Belang.“

Das Landgericht berief sich dabei auf eine grundlegende Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Auslegung des § 140 StGB (BGH, 17.12.1968 – 1 StR 161/68):

„Die Wahrnehmbarkeit der Billigung kann an sich durch alle Arten der Kundbarmachung herbeigeführt werden. Das Gutheißen ist demnach nicht an Worte gebunden. Es kann vielmehr auch in einem anderen unmissverständlichen äußeren Verhalten liegen. In dem Begriff liegt es aber, dass die zustimmende Kundgebung aus sich heraus verständlich sein muss, als solche unmittelbar, ohne Deuteln, erkannt wird. Es muss sich um-eine abgeschlossene zum Ausdruck gebrachte Wertung des Erklärenden handeln, die ihre Sinnbedeutung in sich selbst trägt. Es fehlt daher an einer Billigung im Sinne dieser Strafvorschrift, wenn eine indifferente oder gar anders lautende Kundgebung erst durch außerhalb der Erklärung liegende Umstände, also erst im Wege des Rückschlusses, als zustimmende Kundgebung gewertet werden könnte. Nur diese restriktive Auslegung des Begriffs der Billigung beschränkt die Strafbarkeit auf die strafwürdigen Fälle und entspricht dem Grundgedanken der Vorschrift. Sie trägt auch dem Gebot der Bestimmtheit von Strafvorschriften (Art. 103 Abs. 2 GG) besser Rechnung. Denn sie gibt damit der Rechtsprechung eine verhältnismäßig zuverlässige und feste Grundlage für die Anwendung des§ 140 StGB. Gleichzeitig ermöglicht nur diese Begriffsbestimmung dem Rechtsunterworfenen, die Rechtsfolgen seines Verhaltens vorauszusehen.

Dem Begriff der Billigung ist ferner die Beziehung zu einem bestimmten Objekt immanent. § 140 StGB verlangt, dass der Täter eines der in § 138 Abs. 1 StGB genannten· Verbrechen gutheißt. Die Zustimmung muss sich auf eine konkrete „mit Strafe bedrohte Handlung“ beziehen, die begangen oder versucht ist. Die Billigung von Straftaten schlechthin oder von gewissen Deliktsarten ohne Beziehung auf ein bestimmtes einzelnes verbrecherisches Geschehnis genügt nicht. Auch diese Beziehung muss für den Erklärungsempfänger mit normalem Durchschnittsempfinden eindeutig und ohne weiteres aus der Kundgebung selbst hervortreten, so dass sie ihm als Zustimmung zu einer konkreten strafbedrohten Handlung der in § 138 Abs. 1 StGB bezeichneten Art nach der objektiven und subjektiven Seite unmittelbar verständlich ist.“

Gegen das Urteil des Landgerichts hatte die Staatsanwaltschaft zunächst Revision zum Oberlandesgericht eingelegt, diese dann aber wieder zurückgenommen. Daher ist das Urteil des Landgerichts rechtskräftig.

Landgericht Kassel, Urteil vom 18. November 2019, Az. 7 Ns – 1625 Js 9759/17

(Auf Anfrage senden wir die Urteilsgründe gerne zu.)